Apulien, die „Ferse“ des italienischen Stiefels, ist eine Region, die für ihre weiten Olivenhaine, malerischen Küsten und uralten Traditionen bekannt ist. Doch neben der sichtbaren Schönheit dieser Landschaft gibt es noch einen anderen Schatz, der oft übersehen wird: die lokale Sprache. Der Dialekt Apuliens, der von den Einwohnern in ihren täglichen Gesprächen gepflegt wird, unterscheidet sich deutlich vom Standarditalienischen und spiegelt eine einzigartige Mischung aus Geschichte, Kultur und geografischer Vielfalt wider.
Ein Erbe vieler Völker
Der apulische Dialekt, wie viele süditalienische Varietäten, ist ein Ergebnis der zahlreichen Völker, die im Laufe der Jahrhunderte in diese Region eingewandert sind. Bereits in der Antike war Apulien ein bedeutendes Zentrum für die griechische Kolonisation, und später hinterließen die Römer, Byzantiner, Normannen, Spanier und sogar die Sarazenen ihre Spuren in der lokalen Kultur und Sprache. Diese historischen Einflüsse sind in der apulischen Sprachmelodie und im Wortschatz bis heute deutlich spürbar.
Phonetik: Klangunterschiede, die ins Ohr stechen
Einer der auffälligsten Unterschiede zwischen dem apulischen Dialekt und dem Standarditalienischen liegt in der Phonetik. Die apulischen Dialekte neigen zu einem ‘bastardierten’ Vokalsystem im Vergleich zur klaren Aussprache des Italienischen. Während das Italienische fünf klare Vokale besitzt (a, e, i, o, u), sind im apulischen Dialekt oft „verwaschene“ Vokale zu hören, die durch ihre Verwandlung und Verschmelzung charakterisiert sind.
Beispielsweise wird im Salentino, dem Dialekt der südlichen Provinzen Apuliens, das Wort „bene“ (gut) oft als „bbènnə“ ausgesprochen, wobei der zweite Vokal deutlich abgeschwächt wird. Dies unterscheidet sich stark vom reinen, gut artikulierten „bene“ im Italienischen. Auch Konsonanten wie „r“ oder „l“ klingen oft weicher oder werden in bestimmten Lautfolgen verschluckt.
Syntax und Grammatik: Flexibilität versus Regelhaftigkeit
Auch auf syntaktischer und grammatikalischer Ebene zeigt sich eine Abweichung vom Standarditalienischen. Der apulische Dialekt weist eine bemerkenswerte Flexibilität auf, was den Gebrauch von Pronomen und Artikeln betrifft. In einigen Varianten wird beispielsweise das Personalpronomen „io“ (ich) weggelassen, weil es durch die Verbkonjugation implizit ist. Ein Satz wie „Ich gehe nach Hause“ würde im Italienischen „Vado a casa“ lauten. Im apulischen Dialekt könnte dies einfach „Và a casa“ heißen, wobei das Subjekt nicht explizit ausgedrückt wird.
Ein weiteres grammatikalisches Phänomen ist der häufige Gebrauch des „doppiamento“, also der Verdopplung von Konsonanten, um bestimmte Nuancen oder Emphase zu betonen. Wörter wie „bello“ (schön) werden oft als „bbèllu“ ausgesprochen, wobei der Klang des „b“ durch die Verdopplung verstärkt wird.
Der Wortschatz: Fremde Einflüsse, lokale Besonderheiten
Neben der Aussprache und Grammatik sind es vor allem die Wörter selbst, die den apulischen Dialekt so unverwechselbar machen. Viele Begriffe stammen aus den Sprachen der Eroberer, die über Jahrhunderte Einfluss auf die Region hatten. Beispielsweise haben sich im apulischen Dialekt eine Reihe von Wörtern aus dem Griechischen erhalten, eine Erinnerung an die antiken Kolonien. Ein bekanntes Beispiel ist das Wort „scirocco“, der heiße Wüstenwind, der seinen Ursprung im griechischen „σιρόκκος“ (sirokko) hat.
Auch spanische Einflüsse sind spürbar: Das Wort „bambino“ (Kind) wird im apulischen Dialekt oft durch das spanisch klingende „criatura“ ersetzt. Diese lexikalischen Unterschiede machen den Dialekt nicht nur farbenfroh, sondern auch zu einem lebendigen Zeugnis der apulischen Geschichte.
Kultur und Identität: Der Dialekt als Träger von Tradition
Während das Standarditalienisch die Sprache der Medien, der Bildung und der Regierung ist, bleibt der apulische Dialekt im Alltag fest verankert. Vor allem in ländlichen Gebieten wird er noch oft von Generation zu Generation weitergegeben und dient als Symbol der regionalen Identität. Für viele Apulier ist der Dialekt nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein Ausdruck ihrer Zugehörigkeit zur Region und ihrer Gemeinschaft.
Ein anschauliches Beispiel dafür ist das beliebte apulische Sprichwort „Megghiu nu juornu de leone ca cent'anni de pecora“, was übersetzt „Lieber einen Tag als Löwe als hundert Jahre als Schaf“ bedeutet. Es verdeutlicht den Stolz und die Widerstandsfähigkeit der apulischen Menschen und zeigt, wie stark der Dialekt als Träger kultureller Werte fungiert.
Die Zukunft des Dialekts in einer globalisierten Welt
Doch wie viele regionale Sprachen weltweit steht auch der apulische Dialekt vor Herausforderungen. Mit der zunehmenden Urbanisierung und dem Einfluss des digitalen Zeitalters droht der Dialekt, vor allem bei jüngeren Generationen, allmählich zu verschwinden. Immer mehr Menschen wechseln im Alltag auf das Standarditalienisch, und der Dialekt wird zunehmend auf den häuslichen Bereich oder informelle Gespräche beschränkt.
Allerdings gibt es auch Initiativen, um den apulischen Dialekt zu bewahren. Lokale Vereine, kulturelle Veranstaltungen und sogar Schulprogramme bemühen sich, das sprachliche Erbe Apuliens lebendig zu halten. Dialekte wie der apulische sind mehr als nur Abweichungen vom Standard – sie sind Fenster in die Seele einer Region, Spiegel ihrer Geschichte und Ausdruck ihrer Kultur.
Mein Fazit
Der Dialekt Apuliens unterscheidet sich in vielen Bereichen vom Standarditalienischen – von der Aussprache über die Grammatik bis hin zum Wortschatz. Er ist das Ergebnis einer reichen Geschichte und vieler kultureller Einflüsse, die die Region im Laufe der Jahrhunderte geformt haben. Doch er ist auch Ausdruck der tief verwurzelten Identität der Apulier. Trotz der Herausforderungen der Moderne bleibt der Dialekt ein lebendiger Teil des kulturellen Erbes dieser Region, der durch seine Vielfalt und Lebendigkeit fasziniert und inspiriert.
Apulien, immer ein Besuch wert. Foto von Michelangelo Iaia |
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